Begründung:
Die Arbeiterunterstützungsvereine haben ungefähr in der Mitte des 19 .Jahrhunderts - also um 1850 - ihren Anfang genommen.
Man muß sich überlegen, daß es die Zeit der aufkommenden Industrialisierung war, und der Mensch an der Schwelle einer neuen
Zeit stand.
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War er bisher Bauer oder Handwerker, so wird er jetzt Arbeiter, und die Betriebe beginnen, sich außergewöhnlich auszuweiten.
Nun stellen sich um diese Zeit vor allem soziale Fragen nach Einkommen, Auskommen und Sicherheit.
Ganz besonders wurde die Frage nach Sicherheit in schwierigen Lebenslagen in den Vordergrund gestellt. Die ganze Härte des
Lebens zeigte sich, wenn der Mensch krank, arbeitsunfähig oder arbeitslos wurde. Man muß wissen, daß bis zur
Sozialgesetzgebung des Kanzlers Otto von Bismarck noch ein weiter Weg war.
Somit war man gezwungen, nach dem Grundsatz zu handeln: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! Hier war also wirklich eine
soziale Lücke zu füllen. Diese Aufgabe übernahm der Arbeiterunterstützungsverein, der eine Pionierarbeit im besten Sinne
des Wortes leistete.
In den Statuten über den zu Langquaid gegründeten Arbeiterunterstützungsverein vom 25.3.1859 heißt es in §10: "Die
Unterstützungen in Krankheitsfällen werden nach Umständen der Krankheit allen Vereinsmitgliedern zur Beratung vorgelegt. "Im
Entwurf der Statuten des Langquaider AUV vom 3.Dez.1864," den der Gründungsvorstand Joseph Kronschnabel verfaßt hat, heißt
es unter "Vereinszweck" im §1: "Der Zweck des Vereines ist die zeitweise Unterstützung der durch Krankheit oder durch was
auch immer für körperliche Gebrechen temporär arbeitsunfähig gewordener Mitglieder aus dern Gesellenstande, sowie die
gesellige Unterhaltung."
Aufschlußreich mag sein, daß der genannte Vorstand Kronschnabel im gleichen Jahr seinen Statuten folgenden Nachsatz
anhängte: "Zur dauerhaften Fortsetzung dieses unseres Vereins ist es von großer Wichtigkeit, diese Statuten genau zu
befolgen, wie man auch allgernein schon seit Jahren von den Gesinnungen der Mitglieder überzeugt ist, daß sie nur das Beste
wünschen. Und wenn wir auch jetzt die Früchte des Vereins noch nicht genießen können, so werden wir nach Jahren
zurückdenken an die Jugendzeit, wenn auch vielleicht in weiter Ferne, und wenn erst ein Haus für Kranke gebaut, dann werden
diese (Mitglieder) rufen, und in unserer Seele wird es hallen: Heil dem Arbeiterunterstützungsverein Langquaid!"
Bewundernswert ist die Begeisterung,die aus diesen Zeilen herauszulesen ist. Wer konnte aber damals ahnen, daß bereits drei
Monate später der Bau eines Krankenhauses in beträchtliche Nähe rückte?
Am 28.Februar 1865 schenkte König Ludwig I (1786-1868, regiert von 1825-1848) dem Verein aus seiner Privatschatulle 2000
Gulden zum Bau eines Krankenhauses. Es darf also nicht verwundern, wenn dieser König als besonderer Wohl- und Guttäter
unseres Vereins herausgestellt wird. Gerade er, der auch bekannt ist als der Erbauer der Befreiungshalle und der Walhalla,
des Siegestores und der Ludwigskirche in München, des Ludwig-Donau-Main-Kanals, war sehr religiös eingestellt und bekannt
als freigebiger und freizügiger Herrscher, wenn er auch in seinem eigenen Hause sich sehr sparsam zeigte. Er hatte immer
eine offene Hand, wenn es galt, Not zu lindern. Er war es auch, der die Probleme der Arbeiterschaft, die mit Beginn der
Industrialisierung auftraten, erkannte und ihnen aufgeschlossen gegenüberstand.
Auch sein Sohn, König Max II. (1811-1864, regiert 1848-1864), war ebenso sozial eingestellt. Daß er seiner Zeit weit voraus
war, beweist der Umstand, daß er bereits Arbeiter-, Kranken- und Pensionskassen forderte. Die Zeit war jedoch noch nicht
reif dafür. In seiner letzten Thronrede vor seinem Tod kündigte er eine umfassende Sozialgesetzgebung an, die wenige Jahre
später Wirklichkeit wurde.
Man kann mit Stolz und Genugtuung sagen, daß die Gründungsväter unseres Vereins die Zeichen der Zeit erkannten und ganz im
Sinne einer guten sozialen Einstellung und einer echten caritativen Gesinnung handelten.
[weniger]
Krankenhausbau:
Mit den 2000 Gulden von König Ludwig I. war bereits ein beachtlicher Grundstock zur Krankenhausfinanzierung vorhanden. Somit
konnte man zur Tat schreiten. Der Architekt Völkl von Landshut wurde beauftragt, Vorplanungen zu treffen und
Kostenanschläge auszuarbeiten
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Davon zeugt ein Brief des genannten Architekten vom 15.März 1865 an den Vereinssekretär Georg Steiger, der wie folgt lautet:
Verehrter Herr Steiger! Landshut, den 15.März 1865
Mit der anliegenden Mappe übersende ich Ihnen Pläne und Kostenanschläge über das zu erbauende Krankenhaus für den
Arbeiterunterstützungsverein. Die bezirksamtliche Instruierung der Sache wird auf Ansuchen der neue Herr Bezirksamtmann
bereitwillig dem mehr informierten Herrn Assessor Eisele überlassen, so daß von dieser Seite der Gegenstand die nötige
Unterstützung erlangt und beschleunigt wird.
Das Gebäude erhält nach dem Entwurf eine Länge von 42 Fuß, eine Tiefe von 33 F und eine Zimmerhöhe von 9 F im Erdgeschoß und
10 F über eine Stiege. Ohne das äußere Ansehen zu beeinträchtigen und die Zweckmäßigkeit in der inneren Einteilung zu
unterlassen, war es mir nicht möglich, geringere Dimensionen anzunehmen. Die Kosten berechnen sich allerdings höher als ich
anfangs geglaubt habe, allein es sind auch alle Arbeiten und Leistungen bis zur genüglichen Vollendung berücksichtigt. Ein
unvollständiger Anschlag würde bei der Kgl. Regierung ergänzt und das Ganze voraussichtlich zur Aufklärung und weiteren
Beschlußfassung zurückgegeben werden, was nur Zeitverlust zur Folge haben würde.
Den Brunnen habe ich mir im Hauptanschlage wegzulassen erlaubt, weil das Projekt auch ohne Brunnen die höhere Genehmigung
erhält und die Kosten hierfür durch Hinweglassung einiger Arbeiten, etwa beim Hafner, gedeckt werden können.
Auf der Rückreise von Langquaid habe ich mit Maurermeister Kraus über die Krankenhaus- Angelegenheiten gesprochen und
entnehmen können, daß er es als Ehrensache betrachtet und gerne Opfer bringt, wenn ihm die ganze Ausführung überlassen wird.
Unmaßgeblichst dürften die Pläne dem pp. Kraus zur Einsicht vorgelegt und mit ihm über die gesamte Ausführungssumme
unterhandelt werden, damit sich gleich die Eingabe auf die Erübrigung oder auf das Angebot berufen kann. Würde sich Kraus
erbieten, den Bau um 4000 fl nach Plan und Anschlag zu übernehmen, so dürfte der Zuschlag sogleich erteilt werden. Die
Schenkungen an Materialien müßte derselbe natürlich um die ortsüblichen Preise annehmen und ginge nur die Ziffer von der
Akkordsumme ab.
Bedürfen Sie weiterer Aufschlüsse in dieser Angelegenheit, so bin ich jederzeit gerne bereit, dieselben zu geben, ebenso
werde ich zur Ausführung unentgeltlich Detaile angeben und gelegentlich anderer Geschäftsreisen nachsehen. Der zur
Ausfertigung des Situationsplanes benützte Marktsplan liegt zur gefälligen Aushändigung an den Magistrat an.
Für meine Mühe erlaube ich mir die Liquidation hier anzuschließen.
Mit Gruß Ihr ergebenster gez. Völkl
(Den Betrag von 20 fl 30 kr baar übersandt. gez. Steiger)
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Anmerkung:
42 Fuß lang = 12,26 m
33 Fuß tief = 9,63 m
9 Fuß Erdgeschoßhöhe = 2,64 m
10 Fuß Obergeschoßhöhe = 2,92 m
Der Verein selbst hatte schon 500 Gulden als bares Vermögen in seiner Kasse, die sich aus Beiträgen ansammelten. Weitere 500
Gulden spendeten Wohl-und Guttäter in bar an Baumaterialien.
Die nachfolgende Aufstellung von freiwilligen Beiträgen beweist die Opferbereitschaft der Langquaider Bürgerschaft:
Abschrift des Verzeichnisses der freiwilligen Beiträge zum Krankenhausbau in Langquaid vom 2. Juli 1864:
Johann Steiger, Posthalter 33 Dezimalen Acker
Wittmann, Pfarrer 2000 Stück Ziegelsteine
Franz Mayer, Privatier 100 fl baar
Jacob Mallia, Rothgerber 10 fl baar
Thomas Burgrnayer, Privatier 25 fl
Juliana Göttl, Dienstmagd 25 fl
Josef Münsterer, Bräuer 3 Baumstämme u.6 Stck. Läden
Dominikus Ruepp 2 Baumstämme u. 300 Ziegelsteine
Josef Mayer, Handelsmann 2 Baumstämme, u. 300 Ziegelsteine
Xaver Hörmann, Bräuer 3 Baumstämme u. 300 Ziegelsteine
Clara Schwertel, Binder 2 Baumstämme
Xaver Fuxbrunner, Oekonom 2 Baumstämme
Thomas Staimer, Binder 3 Baumstämme
Bartholomäus Ottel, Oekonom 2 Baumstämme
Georg Mirling, Windmühlenmacher 2 Baumstämme
Xaver Streitel, Drechsler 2 Baumstärnme
Andreas Zeitler, Säckler 2 Baumstämme
Albert Wocheslander, Metzger 3 Baumstämme
Sebastian Arnold, Metzger 1 Baumstamm u. 1 Laden
Andreas Burgmeier, Handelsmann 3 Baumstämme
Josef Zirngibel, Schuhmacher 3 Baumstämme
Andreas Fischer, Bräuer 3 Baumstämme
Paul Fink, Gastgeber p Baumstämme
Gabriel Jobst, Schneider ] Baurnstamm
Joseph Mühl, Ziegler 100 Stck. Ziegelsteine
Josef Sixt, Regensburger Bot 11fl
Simon Dallari, Privatier 11fl
Thomas Burgmeier, Bäcker 8fl
Lorenz Fischer, Sailer 8fl
Max Resch, Gastgeber 6fl
Jacob Sedlmaier, Wagner 6fl
Sebastian Kriner, Bäcker 4fl
Joseph Brayl, Wagner 2fl
Katharina Heigl, Privatier 2fl
Barbara Fuchs, Privatier 2 fl baar
Jacob Besendorfer, Privatier
Simon Wimmer, Schmid 2 Baumstämme
Anton Kostler, Hammerschmid 2 fl baar
Johann Fuxbrunner, Schreiner 10 fl baar
Nun war eine verfügbare Summe von 3000 Gulden vorhanden. Es fehlten also noch 1500 Gulden, die aufgebracht werden mußten, um
den Krankenhausbau schuldenfrei bewerkstelligen zu können. Man ließ sich nicht abhalten, das begonnene Werk zu vollenden.
"Der Verein vertraut jedoch zu Gott, daß noch mehrere mildtätige Herzen sich öffnen, und weitere Beiträge fließen werden",
heißt es in der nachfolgenden Urkunde vom 14. Mai 1865, dem Tag der feierlichen Grundsteinlegung.
Urkunde
Im Jahre 1859 bildete sich hier ein Verein von Bürgerssöhnen und Handwerksgesellen unter dem Namen
Arbeiterunterstützungsverein. Zweck des Vereins ist nach §1 der Vereinsstatuten zeitweise Unterstützung der durch Krankheit
oder durch was immer für körperliche Gebrechen temporär arbeitsunfähig gewordenen Mitglieder aus dem Gesellenstande, sowie
die gesellige Unterhaltung.
Der Verein mietete seiner Zeit zu diesem Zwecke ein Lokal als Krankenzimmer und versah solches bestmöglichst mit dem hierzu
nötigen Mobilar und sonstigen Einrichtungen. Es wurde schon gleich anfangs der Wunsch rege, ein eigenes Krankenhaus gründen
und bauen zu können, und es suchte deshalb der Verein, fremde Unterstützung zu finden. Bei der allbekannten großen
Wohltäthigkeit Sr. Majestät Ludwig 1. wagte es der Verein, ein Bittgesuch an Sr. Majestät zu richten. Zur großen Freude und
überraschung des Vereins, sowie auch der Marktsgemeinde Langquaid, wurden unterm 28. Februar 1865 durch Vermittlung der
kgl. Regierung von Niederbayern, beziehungsweise des kgl. Bezirksamts Rottenburg, an die hiesige Marktsgemeindeverwaltung
zur übergabe an den Verein die wirklich königliche Schenkung von 2000 fl (Gulden) baar zum Bau eines Krankenhauses
übersandt.
Durch weitere Wohlthäter brachte der Verein an baar und Naturalien die Summe von 500 fl zusammen. Der Verein selbst hatte
schon ein bares Vermögen von 500 fl durch monatliche Auflagen, sohin eine verfügbare Summe von 3000fl.
Die Bausumme beträgt 4500 fl, so daß allerdings noch 1500 fl zu tilgen übrig bleiben. Der Verein vertraut jedoch zu Gott, daß
noch mehrere mildtätige Herzen sich öffnen und weitere Beiträge fließen werden.
Die feierliche Handlung der Grundsteinlegung wurde in entsprechender Weise vorgenommen. Sonntags den 14. Mai 1865 vormittag
9 Uhr mit kirchlichem Gottesdienst eröffnet, begab sich der Festzug auf den festlich geschmückten Bauplatz. Die kirchliche
Weihe erteilte der hiesige Hochw.Herr Pfarrer Georg Wittmann.
Weiter beehrten durch Ihre Hohe Gegenwart :
Herr Bezirksamtmann Loritz von Rottenburg
Herr Bezirksamtsassessor Eisele von Rottenburg
Herr Bezirksarzt Dr. Müller von Rottenburg:
das hiesige Gemeinde-Collegium
die hiesigen Landwehr-Offiziere
die Nachbarvereine Rohr und Pfaffenberg
Ferner unterzeichnen die beiden Baumeister und der Ausschuß des hiesigen Vereins.
Damit war das Werk echter christlicher Nächstenliebe und gewachsener Vereinstreue getreu dem Wahlspruch des Vereins
"Eintracht und Frieden" der Vollendung nahe. Leider war der Verein nicht in der Lage, sein Werk auf Dauer in seinen Besitz zu
halten. Finanziell ausgeblutet trat er laut Kaufvertrag vom 17. Juli 1867 seine Besitzrechte an die Marktscomune Langquaid
ab, die vertreten war durch den damaligen Marktvorstand Rotgerbermeister Jakob Mallia.
Unter Vorbehalt des Benützungsrechtes der beiden Zimmer Nr. 2 und Nr.3 für den AUV Langquaid stimmte man dieser übergabe
bei",so lange nämlich derselbe Verein als solcher besteht". Mit dem Kaufpreis von 1600 Gulden waren die Schulden durch die
Marktsgemeinde abgedeckt. Der Vertreter des Arbeiterunterstützungsvereins war damals der Vorstand des Vereins, Herr Kaspar
Stummer, der den Verhandlungen die nötige Richtung gab.
Am 12. August 1913 wurden die genannten beiden Krankenzimmer gegen den Betrag von 700 Mark der Krankenhausverwaltung des
Bezirkes Rottenburg übergeben. Damit hatte der Verein keine Anrechte mehr auf sein ehemaliges Besitztum im Krankenhaus
Langquaid.
Es muß zur Ehrenrettung des Vereins gesagt werden, daß die Zeitläufe und die veränderte Lage in der Sozialgesetzgebung diese
änderungen im Vereinsbesitztum unumgänglich machten. Damit hatte der Verein den Kernpunkt seines ursprünglichen Zweckes
verloren. Aus dem ehemals rein sozial ausgerichteten Verein wurde nun ein Traditionsverein, der verwurzelt in der
Vergangenheit nicht mehr aus der Vereinsgeschichte des Marktes Langquaid wegzudenken war. Ein traditionsbewußter Verein ist
es geblieben, bis der spätere Vereinskassier Xaver Beck nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit schwerer Hand ins Protokollbuch
schrieb:
"Von 1940 bis 1946 hat der Verein geruht. Es war Krieg."
Die soziale Gewichtung hat der Verein in seinen weiteren Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu ganz verloren. Aber neue
Aufgaben und neue Ziele stehen dem Verein ins Haus. Diese unter dem neuen Namen "Bürgerverein Langquaid" zu meistern, ist
Auftrag und Weisung für die nächste Zukunft im Dienste der Gemeinschaft, aber auch im Dienste unseres Marktes Langquaid.
[weniger]
Schriftwesen:
Kaum ein Verein in Langquaid und Umgebung wird ein so vollständiges Schriftenarchiv besitzen wie der Bürgerverein. Man zählt
ihn als Arbeiterunterstützungsverein wohl zu den ältesten Vereinen, wenn er nicht gar der älteste Verein ist.
[mehr]
Sehr erfreulich ist die Tatsache, daß nahezu alle Schriften, Urkunden, Verträge usw. erhalten geblieben sind. Vor allem ist
ein umfangreiches Schriftwesen aus den Gründungsjahren von 1859 bis 1868 vorhanden. Leider reißt dann der Faden der genauen
Aufzeichnungen ab. Es ist wohl noch das Mitgliederbuch der weiteren Jahre und die Vereinstafel vom Jahre 1887 vorhanden; aber
es fehlt das Protokollbuch, in dem Eintragungen zum Vereinsgeschehen vorgenommen werden.
Erst ab 1895 sind wieder regelmäßige Aufzeichnungen vorhanden, so daß ab diesem Zeitpunkt die Vereinsgeschichte lückenlos
verfolgt werden kann.
In diesen Niederschriften zu lesen, ist sehr aufschlußreich. Manchmal sind sie sogar spannend wie ein Roman, interessant wie
Geschichtsbücher, geben Einblick in das Zusammenleben der Menschen und zeigen ihren Idealismus und ihre Opferbereitschaft,
aber auch ihre menschlichen Schwächen und Fehler auf. Besonders interessant sind die Angaben der verschiedenen
Berufsbezeichnungen, die längst schon ausgestorben sind: Färber, Seiler, Rotgerber, Lederer, Nagelschmied usw. Sie allein
sind ein Spiegelbild des vorigen Jahrhunderts von besonderer Art.
Eine weitere Fundgrube der Lebensäußerungen und Lebensgewohnheiten aus der Zeit der Gründung sind die Statuten von 1859 und
1864. So ist dort zu lesen: "Die Wahl der Vorstandschaft muß alle halbe Jahre wiederholt werden. Außerdem, es müßte sich
einer von diesen gewählten Mitgliedern etwas zuschulden kommen lassen, so müßte eine außerordentliche Wahl eröffnet
werden."
Es mag für uns heute befremdend sein, daß in so kurzen Zeiträumen Neuwahlen vorgenommen wurden. Kaum ein Vorstand blieb in
den ersten Vereinsjahren länger als eine oder zwei Wahlperioden im Amt. Was man damit bezwecken wollte, ist uns heute un klar
und nicht verständlich. Größten Wert legte man auf die persönliche Ehre. Wer sich etwas zuschulden kommen ließ, schloß sich
aus der Gemeinschaft von selbst aus.
"Die monatlichen Beiträge werden auf 12 Kreuzer constatiert. Diese Auflage hat jeden I. Sonn tag im Monat im Vereinslokal
stattzufinden."
Damals hatte man wirklich viel Zeit, und man nahm sich auch Zeit. Obwohl die Wochenarbeitszeit damals 72 Arbeitsstunden und
noch mehr umfaßte, hatte man Zeit tur diese Verpflichtungen dem Verein gegenüber. Ein großer Vorteil bestand darin, daß man
wenigstens einmal im Monat zusammenkam und den persönlichen Kontakt pflegen konnte. Die heutige Form der Beitragszahlung
durch Abbuchung bei Sparkasse und Bank läuft unbürokratischer ab, aber es mangelt auch an persönlichem Kontakt zwischen
Vorstandschaft und den Mitgliedern.
"Im Verein muß die größte Eintracht und Ordnung herrschen. Wer dieselbe überschreitet, wird unwiderruflich ausgeschlossen."
Die Sitten waren damals sehr streng. Man ist etwas erinnert an das geflügelte Wort:
"Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht."
"Zu diesem Verein können auch Bürger aufgenommen werden, aber dieselben werden als Ehrenmitglieder betrachtet."
In der ersten Mitgliederliste des Vereins findet man auch eine Reihe von Ehrenmitgliedern verzeichnet. Diese waren
Handwerksmeister und Honoratioren des Marktes. So ist darunter auch der Bürgermeister und Bierbräu Joseph Münsterer zu
finden, dem man den Beinamen "der Herrgott von Langquaid" gibt. Unter Ehrenmitgliedern darf man nicht solche Mitglieder
verstehen, die sich in vielen Jahren um den Verein besonders verdient gemacht haben. Es waren eher passive Mitglieder, im
Gegensatz zu den aktiven Mitgliedern, den Handwerksgesellen, die in Not geraten besonders der Hilfe und Unterstützung
bedurften.
"Es können auch Unterhaltungen gegeben werden, wenn es die Vereinskasse erlaubt und die Stimmenmehrheit dazu abgegeben wird.
"
Im Kassenbuch ist zu lesen, daß ein Glückshafen im April 1860 den stolzen Betrag von 27 Gulden 15 Kreuzer erbrachte. Ferner
wurde der Gründungstag, der Frauentag Maria Verkündigung, also der 25. März, immer festlich begangen. Auch pflegte man die
Verbindung mit dem Rohrer Verein und dem Wanderverein in Pfaffenberg.
Am Neujahrsabend wurde immer besonders gefeiert. So stehen im ältesten Kassenbuch Ausgaben für Beleuchtung, Saaldekoration,
öllamperl, Harmonie-Musik (gemeint dürfte eine Ziehharmonika sein), griechisches Feuer (wahrscheinlich
Fackelbeleuchtung),Pokalfüllung (natürlich mit Bier) usw.
Am 25. März 1863 weihte man die erste Fahne, eine Standarte
"Jedem Mitglied ist es freigegeben, bei der Zusammenkunft einen seiner Freunde aufzuführen. Nach zweimaliger Aufführung im
Verein muß derselbe sieh melden, ob er in den Verein aufgenommen zu werden wünscht oder er wird nach dreimaligem Erscheinen
aus dem Vereinslokale gewiesen. Man macht jedes Mitglied aufmerksam, keine Aufforderungen zur Beitretung zum Verein an
Personen ergehen zu lassen."
Die Mitgliederwerbung in unserem heutigen Sinne war damals wohl unbekannt, auch gar nicht gefragt. Dieser Satzungspunkt wäre
heute undenkbar. Ein Verein, der keine neuen Mitglieder gewinnen will und die Werbetrommel nicht rührt, gäbe sich selbst auf.
"Jedes Mitglied muß bei einer Versammlung mit dem vom Verein bestimmten Zeichen erscheinen, widrigenfalls ihm das
Vereinslokal nicht geöffnet werden kann. "
[weniger]
Finanzwesen:
Jeder, der mit dem Finanzwesen einer Gemeinschaft zu tun hat, übernimmt kein leichtes Amt. Jeder Finanzminister, jeder
Finanzverwalter, jeder Vereinskassier möchte sein "Unternehmen" finanziell in Ordnung haben und halten,um den anstehenden
Aufgaben und Ausgaben gewachsen zu sein.
[mehr]
Wenn ich in den alten Kassenbüchern des Bürgervereins blättere, so fällt mir besonders auf, daß zur Zeit der Gründung eine
andere Währung galt. Damals 1859 rechnete man noch in Gulden (fl) und Kreuzer (kr). Ein Silbergulden hatte 60 Silberkreuzer.
Man kann sich den Wert dieses Geldes besser vorstellen, wenn man weiß, daß ein Knecht auf einem Bauernhof ca. 50 Gulden
Jahreslohn bekam, während eine Magd ca. 30 Gulden erhielt.
Bei der Grundsteinlegung zum vereinseigenen Krankenhaus in Langquaid wurden neben anderen Umlaufmünzen ein sogenannter
Vereintaler beigelegt. Dieser Vereintaler wurde so genannt, nachdem man 1838 durch den Dresdner Münzvertrag den norddeutschen
Taler und den süddeutschen Gulden in der neuen Vereinmünze (man könnte sie Vereinigungsmünze nennen) zusammenführte.
Der Vereintaler galt demnach 1 3/4 Gulden.
Für den Eintritt zum Arbeiterunterstützungsverein zahlte man 18 Kreuzer Aufnahmegebühr, als Monatsbeitrag gab man 12 Kreuzer
ab. Das waren immerhin im Jahr 2 Gulden und 24 Kreuzer Beitrag.
Mit Ende Mai 1859, nachdem der Verein einen Monat bestand, waren bereits 10 Gulden und 18 Kreuzer in der Kasse. Am 1.
November 1860 betrug der Kassenstand 152 fl 6 kr, 1866 waren es bereits 615 fl 32 kr. Damit war durch den hohen Kassenstand
ein großer Teil der anfallenden Schulden für den Krankenhausbau abgesichert.
Mit der Reichsgründung 1871 wurde die neue Mark eingeführt. Aus einem Protokollbuch erfahren wir, daß am 1. Januar 1895 ein
Barvermögen von 145 Mark 50 Pfennig vorhanden war. In den weiteren Jahren wurde der Verein nicht reich, aber er büßte auch
nicht verarmt seine Existenz ein. Er war stets den finanziellen Anforderungen seiner Aufgaben gewachsen.
Schwieriger wurde die Finanzlage erst nach dem Ersten Weltkrieg. Die hohen Kriegsschulden und die hohen
Reparationsforderungen der Siegermächte waren nach dem verlorenen 1. Weltkrieg kaum mehr aufzubringen. Somit war man
gezwungen, Geld aus der Druckermaschine in den benötigten Mengen herzustellen. Die Folge war, daß in den Jahren 1919 bis
1923 eine Inflation über das Land zog, in der die Nennwerte der Banknoten sich buchstäblich überschlugen. Selbst im Markt
Langquaid wurde in dieser Zeit Notgeld gedruckt.
Die Langquaider Sparkasse gab im September 1923 verschiedene Notgeldscheine heraus, von denen der Schein mit dem höchsten
Nennwert immerhin 20 Millionen Mark wert war, wofür man vielleicht einen Wecken Brot bekam.
Interessant mag sein, daß diese Notgeldscheine vom damaligen Bürgermeister Josef Beck unterschrieben waren, der zugleich
Vorstand des Arbeiterunterstützungsvereins war. Der Verein erhöhte damals den Vereinsbetrag von monatlich 10 Pfennig auf
monatlich 10 Mark. Die Vereinsführung wußte sich jedoch insofern zu helfen, daß sie zu einer Spendenaktion in Naturalien
(Weizen, Korn usw.) aufrief. Bemerkenswert ist, daß der Brauerei-und Hofbesitzer Kraus von Adlhausen dem Verein 100 000 Mark
in bar und einen Zentner Korn spendete. Am 22 Juli 1923 wurde der Vereinsbeitrag von 10 Mark auf 250 Mark im Monat angehoben.
Der damals zu verabschiedende Vereinsdiener Georg Ramsauer bekam als Abschiedsgeschenk eine Entschädigung von 36 000 Mark.
Man bedenke, daß eine Reichsnote vom 15. Febr. 1924 den Nennwert von 10 Billionen hatte. Damit war der Höhepunkt der
Inflation erreicht. Nach dieser immensen Geldentwertung bekam man für 10 Milliarden Mark nur einen Pfennig in der neuen
Währung.
Nach diesem Spuk der Inflation kehrten auch für die Vereinskasse normale Zeiten ein. Der Beitrag betrug wie früher 10 Pfennig
im Monat. 9 Musiker kosteten für Kirchenzug, Nachmittagskonzert und Festball 100 Mark, später im Jahre 1932 sogar nur mehr 40
Mark. Natürlich kamen für den Verein keine goldenen Zeiten mehr.
Am 1. Januar 1933 betrug der Kassenstand 16,53 Mark.
Nach dem Zweiten Weltkrieg,- aus dem Arbeiterunterstützungsverein wurde auf Anordnung der Militärregierung in Rottenburg der
Bürgerverein,– wollte man das Vereinsleben mit viel Mut und Hingabe neu beleben. Der Jahresbeitrag wurde auf 2 DM
festgelegt. Dennoch brachte es die damalige Vorstandschaft durch Sparsamkeit und gutes Vorausplanen fertig, eine neue Fahne
anzuschaffen, nachdem die alte Fahne in den Wirren des Krieges verlorengegangen war. In groß angelegten Festen feierte man
1951 die Fahnenweihe und 1956 das 100jährige Gründungsfest.
Selbstverständlich lebt ein Verein von seinen Idealen und von den Zielen, die ihm gesteckt werden. Aber er kann auch nur
leben und überleben, wenn er finanziell gesichert ist. Daher war es notwendig, vorn Jahre 1982 an den Beitrag auf die
angemessene Höhe von einer DM monatlich anzuheben.
Wenn man in dieser 125jährigen Vereinsgeschichte Rückschau hält, so wundert man sich, daß der Verein trotz Geldknappheit und
Inflation überleben konnte. Sollten für den Verein wieder einmal schwere Zeiten und schier unüberwindliche Schwierigkeiten
auftauchen, so mögen die späteren Generationen an die Vergangenheit denken, in der mutige Männer diese Schwierigkeiten durch
Tatkraft und Einsatzbereitschaft überwanden und meisterten.
[weniger]
Wahlspruch:
"Eintracht und Friede"- der Wahlspruch des Vereins
Es ist schon bemerkenswert, daß der Verein bereits im Jahre 1859 in seinen Statuten den Beschluß hervorhob, den Wahlspruch
"Eintracht und Friede" einzuführen und nach diesem Leitspruch das Vereinsleben auszurichten
[mehr]
Gerade in der heutigen Zeit, also 125 Jahre später, wo soviel vom Frieden die Rede ist, kann man kaum verstehen, warum der
Friede auch in der damaligen Zeit schon im Vordergrund stand.
Blättert man in den Annalen der Geschichte, so kommt man darauf, daß die Menschen sich zu allen Zeiten nach Frieden sehnten
und daß sie in der Eintracht, im Zusammenhalten und in der Verträglichkeit mit anderen Menschen, im freundschaftlichen
Umgang miteinander ein hohes Gut sahen.
Die Wünsche und Hoffnungen der Menschen sind zu allen Zeiten und an allen Orten gleichgeblieben. Sie sehnen sich immer wieder
nach Zeiten des Friedens, um ihrer Arbeit und Tätigkeit mit weniger Angst und Sorge nachgehen zu können.
Wenn die Gründungsväter den Begriff "Friede" in einer engeren Sicht verstanden, so ist er heute in einem weitaus größeren
Umfang zu sehen; denn wie sollte er im großen verwirklicht werden, wenn er im kleinen nicht gewahrt werden kann!
Es mag auch interessant sein, daß dieser Wahlspruch "Eintracht und Frieden" in zwei Vereinssiegeln zu finden ist, einmal
schon im Siegel aus dem Jahre 1860, zum anderen auf dem Stempel aus dem Jahre 1895.
Mögen die künftigen Generationen des Bürgervereins dieses Leitspruchs eingedenk sein und danach handeln!
[weniger]